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Schon im frühen Mittelalter hält Golem, der aus Lehm geformte Roboter, die Menschen in Bann. Er ist gewaltig, besitzt übermenschliche Kräfte und ist riesengroß. Er führt Befehle aus, kann sie aber nicht hinterfragen, denn Lehmmasse, aus der er besteht, besitzt weder Geist, noch Seele, weder Gefühl noch Intelligenz. Ganz wie Shelleys Monster von Dr. Frankenstein. Er ist Ausdruck der industriellen Revolution, des technischen und medizinischen Fortschritts. Er verkörpert das Verlangen der Menschheit, die Grenzen der Wissenschaft und des Lebens immer weiter zu verrücken, leistungsstärker zu werden, klüger zu werden, schneller, besser, den Tot zu überlisten, ihm ein Schnippchen zu schlagen.
Auch schon im Alten Testament und im antiken Griechenland können wir dieses Spannungsfeld spüren: In der Bibel ist es der Apfel der Weisheit, Sinnbild der Verführung, teuflisches Machwerk. Seit Eva der Versuchung nicht widerstand, leben die Menschen bis heute zwar frei, aber in Schmerz und Leid. …… …… Mit dem Wissen und der Entdeckung der Fortschritt. Diese haben jedoch einen Preis. Prometheus stiehlt das Feuer der Weisheit und des Lebens und haucht damit das Leben in die steinerne Statue der liebreizenden Pandora. Auch hier ist Pandora wieder das Sinnbild der Versuchung. Bald schon wird Pandora die Büchse öffnen, die alle Leiden und Laster in die Menschheit verstreut. Aus der Büchse der Pandora entweichen Krankheiten, Seuchen sowie Laster wie Neid, Eifersucht, Habgier und Hass. Isaac Asimovs menschlicher Roboter aus der Serie NS-5 sind anfänglich sehr nützliche Geschöpfe der künstlichen Intelligenz, bis sie sich nach einer Umprogrammierung gegen die Menschheit richten.
In der realen Welt ist der Übergang viel nahtloser, obgleich das Spannungsfeld zwischen menschlichem Nutzen und maschinellem Risiko weiter fortbesteht: zwischen Prometheus, der Wegbereiter des menschlichen Fortschritts und Prometheus, der Verursacher des menschlichen Verderbens, zwischen einerseits lebensrettender andererseits krankmachender oder gar todbringender Technologie, zwischen menschlicher Verbesserung und menschlicher Selbstüberschätzung, zwischen dem Messer, das Brot schneidet und das Messer, das Menschen tötet; zwischen dem Feuer im Ofen und dem Feuer auf dem Scheiterhaufen. Zwischen Atombombe und Atomkraftwerk, …. zwischen Atomkraftwerk der sauberen Energie und dem Atomkraftwerk der all verseuchenden Havarie …… ……
Der Athlet Markus Rehm konnte nach einem Sportunfall und dem Verlust seines rechten Beines nur drei Jahre danach Weltmeister im Weitsprung bei einer Behinderten-Weltmeisterschaft werden. Inwiefern ihm seine Prothese einen unzulässigen Vorteil verschaffte, bleibt bis heute umstritten. Wären solche Prothesen eine Art materielles Doping? Oder nehmen wir den Fall des schwedischen Lastwagenfahrers Rickhard Branemark, dem nach einem Unfall der Arm amputiert werden musste. Ersetzt wurde er durch einen maßgeschneiderten künstlichen Arm. Ein Titanimplantat tief im Knochen verankert, verschiedene Elektroden an Muskeln und Nerven angeschlossen, verdrahtet mit dem Gehirn, bringen den Arm allein durch Denkkraft wieder in Bewegung. Sollten Sie vergesslich sein und Ihre Schlüssel immer irgendwo liegen lassen, dann können sie Ihr Gedächtnis durch einen Chip in der Haut ersetzen lassen. Der schon bezeichnende Namen des Jungunternehmens „I am Robot“ vom 26-jährigen Dortmunder Sven Becker kann da Aushilfe schaffen. Mit dem Chip unter der Haut steht man nicht mehr vor verschlossener Tür seiner Wohnung oder seines Autos. Wird dadurch aber unser vergessliches Gehirn besser? …… …… Ist nicht solch eine unangenehme Erfahrung nicht gleichzeitig ein wichtiges Frischhalte-Training unserer Gehirnzellen, damit wir eben nicht so viel vergessen? Hat ein Frühwarngerät in der Blutbahn, das vor dem Herzinfarkt schützt, dieselbe Dringlichkeit wie etwa ein Ladegerät im Bauchnabel, das aus dem Körperfett Energie für den Handy-Akku erzeugt? Ist die automatische Korrektur unserer Rechtschreibung im Computer gleichzusetzen mit der digitalen Korrektur durch ein Chip in unserem Körper oder Gehirn? Wäre ein Taschenrechner, den man in Nanogröße in unser Hirn einpflanzt nicht dasselbe wie der Taschenrechner, der in unsere Hosentasche passt? Grenzt das unermüdliche Bestreben der menschlichen Selbstoptimierung und künstlichen Lebensverlängerung nicht auch schon an moralische und ethische Grenzen? Welche Technologie soll uns einmal von der Krankheit heilen, immer über die Grenzen der Natur hinauswachsen zu wollen, sie nicht zu akzeptieren? Welcher Chip soll uns im Kopf korrigieren, ohne Rücksicht auf Verluste oder Nebenfolgen immer besser als die anderen sein zu wollen? Welcher Impfstoff soll uns davor retten, unser Immunsystem durch eine Impfung ersetzen zu wollen und uns davon zeitlebens abhängig zu machen? Wenn wir schon bald durch biogenetische Manipulationen das Geschlecht und das Aussehen unseres Nachwuchses bestimmen können, müssen wir uns als Eltern nicht fragen, inwiefern es dann noch unser biologisches Kind wäre, aus unserem eigenem Fleisch und Blut, oder das Teilprodukt einer Firma „Frankenstein GmbH“? Wie wäre dann unsere Beziehung zu diesem Kind, wo wir nicht unsere Ähnlichkeit wiederfinden, mit unseren guten wie auch schlechten Seiten? Bliebe es nicht irgendwie ein Fremdling in unserer Familie, wenn auch hübsch und intelligent? Wie stünde es um die Identitätsfindung des Kindes selbst, besonders wenn es groß wird?
In den Labors wird schon emsig an der Neuro-Steigerung geforscht, um die kognitiven Fähigkeiten oder psychischen Befindlichkeiten gezielt zu verbessern. So sollen Psycho-Stimmulanzien die Konzentrationsfähigkeit, Leistungs- und Entscheidungsbereitschaft sowie psychophysische Aktivität steigern. Außerdem sollen sie die Müdigkeit und körperliche Abgeschlagenheit unterdrücken. Antidementiva hingegen sind Präparate, die gegen Demenzerscheinungen wirken sollen. Deren Wirksamkeit ist aber wissenschaftlich noch umstritten und nicht eindeutig nachgewiesen. Aufgrund der bei Hirnleistungsverstärkern eingesetzten Wirkstoffe sei der Konsum jedoch kritisch zu betrachten, meint die Referentin aus der Hamburger Universität Angelika Nette. …… …… Denn die größere Gefährdung als durch das Suchtpotenzial der Neuroverstärker gehe vermutlich von einem steigernden Druck in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und unserem Arbeitsumfeld im Besonderen aus, die eigene kognitive Leistung durch Medikamente zu verbessern, meint der psychologische Psychotherapeut Dr. Bastian Fatke im SuchtMagazin. Laut Nette hätten Hirnforscher auch schon zweifelsfrei bewiesen, dass ein bereits waches Gehirn kaum eine Steigerung an Wachheit zulasse. Gesunder Schlaf, ausgewogene Ernährung, Bewegung an der frischen Luft ist also genauso effizient, wie das beste und teuerste Hirnputschmittel. Nur dass das Erstere keine Nebenwirkungen hinterlässt und nicht süchtig macht. Das gesunde, ausgeschlafene Gehirn besäße bereits das Optimum an Leistungsfähigkeit, so die Referentin.
Wie ist aber die Wahrnehmung und Rezeption gegenüber diesen menschverändernden Technologien? Hauptsächlich in den großen Medien werden die technologischen Fortschritte der leistungssteigernden Technologien und Präparate sehr wohlwollend begleitet und lesen sich fast wie Werbeartikel oder eine romantisierende Geschichte aus dem Science-Fiction. …… …… Geht es nicht eher um ein lukratives Geschäftsmodell als um die menschliche Komponente? Die Möglichkeit, jeden Menschen durch Technologie und Digitalisierung technisch zu vernetzen und davon abhängig zu machen?
Ein Chip oder Nanocomputer im Gehirn, der die Denk- oder Gedächtnisleistung um ein Vielfaches steigert: Inwiefern wird dadurch unser Menschsein — unser Menschlichsein gesteigert? Inwiefern wird dadurch unsere emotionale Intelligenz oder unsere soziale Kompetenz verbessert oder gerät sie dadurch noch mehr aus dem Gleichgewicht oder gar unter die Räder? Besteht nicht die Gefahr, dass diese verübermenschlichende Technologie unsere natürlichen Grenzen zerreißen? Begeben wir uns nicht in ein ungeahntes Minenfeld? Laufen wir nicht Gefahr, uns durch die Übertechnologisierung von Organen und Lebewesen immer mehr von der Natur, von den natürlichen Prozessen und der natürlichen Evolution zu entfremden? Reißen wir uns nicht dadurch aus einer natürlichen Matrix heraus, von der wir letztendlich abhängig sind? Und in welche Gesellschaft leben wir hinein, wo unsere eigenen Fähigkeiten, Stärken und persönlichen Errungenschaften nicht mehr zählen, nicht mehr ohne Aufputschmittel gut genug sind? Wo es nur noch darum geht, zu ‚funktionieren‘, wie eine Machine, so wie das Monster von Dr. Frankenstein, das zwar funktionierte, aber aufgrund seines grässlichen Aussehens von niemanden geliebt oder gemocht wurde, von der Gesellschaft ausgestoßen und geächtet. …… …… Führt uns dieser uneingeschränkte Glaube an die Wissenschaft als das Allheilmittel für all unsere Probleme in der Umwelt und Gesellschaft nicht in eine Sackgasse? Verwandelt sich die Glut der Wissenschaft nicht in das Feuer Prometheus, der dass Leben in eine schöne, liebreizende Illusion aus Stein einhauchte und der Menschheit letztlich mehr Leid und Kummer brachte, als Heil und Glückseligkeit? Ist es nicht an der Zeit wie einst der Religion nun auch der Wissenschaft in die Schranken zu weisen, bevor die Natur es tut?
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